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Tiny Torquer: Mini-Motoren, große Träume

  • 13.05.2025
  • News Studiengang
Tiny Torquerer in einer Garage | © Alexander Wohlfart
© Alexander Wohlfart

Eingeschworene Gemeinschaft: Gruppenbild der Tiny-Torquer.

Wie an der FH Kufstein Tirol eine neue Mini-Motorrad-Rennklasse entsteht – und warum das mehr ist als nur ein Studierendenprojekt.

Der Geruch von Metall, Öl und verbranntem Methanol liegt in der Luft. Ein Holzrahmen lehnt in einer Ecke der Werkstatt, daneben glänzt ein fast fertiges Mini-Motorrad im Halbdunkel. Bestückt ist es mit einem Motor, der eigentlich in Rasenmähern verbaut wird. Was zunächst unscheinbar wirkt, ist Teil einer großen Idee: Willkommen bei den Tiny Torquern – einer Arbeitsgemeinschaft an der FH Kufstein Tirol, die im Rahmen eines gleichnamigen Vereins agiert und weit mehr ist als eine nette Freizeitbeschäftigung. Es ist ein Projekt, das niederschwelligen Motorsport, gelebte Nachhaltigkeit und moderne Ingenieursausbildung auf einzigartige Weise verbindet. 

Kleine Maschinen, große Wirkung

Tiny sind hier nicht nur die Motorräder. Auch die Motoren sind mit 200 Kubikzentimetern und als einfache Viertakter bewusst klein gehalten. „Sie sind günstig, zuverlässig und ideal zum Lernen“, sagt Prof. (FH) Dr. Christian Schmid, der Initiator des Projekts und Professor für Produktentwicklung im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen. Viele Komponenten stammen aus dem Kartsport, die Rahmen bestehen aus Stahl – und sind damit zu 100 Prozent recycelbar.

Wir wollen zeigen, dass Technik nicht teuer und kompliziert sein muss.

Prof. (FH) Dr. Christian Schmid

Initiator des Projekts und Professor für Produktentwicklung im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen

Die Bauteile für die Bikes kosten zwischen 600 und 1.000 Euro – ein Einstieg in den Motorsport, den sich viele leisten können. „Das Projekt lebt von Kreativität und Eigeninitiative – und genau das wollen wir fördern.“ Seit mehr als 30 Jahren im Motorsport aktiv, bringt Schmid internationale Erfahrung aus den USA mit und verfolgt einen klaren Plan: Technik greifbar machen, Begeisterung wecken und jungen Menschen zeigen, wie man mit den eigenen Händen etwas erschaffen kann.

Schrauben, lernen, fahren

Das Besondere: Die Rahmen der Zweiräder entstehen zunächst nicht am Bildschirm, sondern aus Holz. In sogenannten Mockups testen die Studierenden Ergonomie, Sitzposition und Bedienbarkeit. Erst wenn alles passt, wird geschweißt – in einem eigens aufgestellten Schweißcontainer. Das spart Material, Zeit und hilft, den Entwicklungsprozess greifbar zu machen.

Motorrad Vorderrat Nahaufnahme in einer Garage | © Alexander Wohlfart
© Alexander Wohlfart

Jedes einzelne der Mini-Bikes ist ein Unikat. 

Die Regeln? Klar, aber flexibel. Einheitsmotor (ein günstiger Industriemotor), maximale Reifengröße, bestimmte Maße – alles andere ist offen. Kreativität ist ausdrücklich erwünscht. So entsteht aus günstigen Teilen – Kart-Rädern, Lagertechnik aus dem Industriebedarf – etwas Einzigartiges. Und es funktioniert: Bis zu 120 km/h sind auf der Achtelmeile möglich. Gefahren wird im Drag-Race-Modus. Heißt: Geradeaus, kurvige Strecken sind nicht vorgesehen. Das ist einerseits konstruktionsbedingt, andrerseits sicherheitstechnisch so gewollt. Denn auch die Sicherheit der Fahrer:innen ist Schmid ein großes Anliegen. 

Im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen ist Schmids Projekt mittlerweile fest verankert. Was als private Initiative begann – im Verein Tiny Torquer, den Schmid selbst im vergangenen November mit Gleichgesinnten gründete – ist heute ein fester Bestandteil der Lehre. Die Studierenden konstruieren, schweißen, testen. Jeder Rahmen ist ein Unikat, jeder Motor wird modifiziert. „Die bauen hier wirklich was. Die lernen, was funktioniert – und was nicht“, sagt Schmid. Dabei geht es nicht nur um Technik, sondern auch um Verantwortung. Wer sein Mini-Bike selbst konstruiert hat, fährt später mit Respekt.

„Die Studierenden lernen dabei nicht nur technische Grundlagen, sondern erleben echte Produktentwicklung“, erklärt Schmid. Fehler sind erlaubt – ja, gewünscht. „Fail fast and early“ lautet das Motto.

Es ist ein Ausgleich zum Studienalltag. Du sitzt nicht nur vor dem Bildschirm, sondern machst wirklich was mit den Händen.

Matthias Hoffmann

Student mit Motorsport-Hintergrund

Gemeinsam mit seinem Team hat er sich für einen gebogenen Rohrrahmen entschieden – deutlich aufwendiger als die sonst üblichen Vierkantkonstruktionen. „Wir haben improvisiert, gebogen, verworfen und neu gedacht. Das war nicht einfach – aber genau das macht es aus.“

Auch Emilia Dora Arnold, die aus der Nähe des Sachsenrings stammt, ist begeistert: „Ich will später im Motorsport arbeiten. Hier kann ich das erste Mal richtig in die Richtung gehen – praxisnah und kostengünstig.“ Dass man mit unter 1.000 Euro ein funktionierendes Rennbike bauen kann, hat sie überrascht. „Motorsport ist sonst oft eine Frage des Geldes. Wir machen ihn greifbarer.“

Nachhaltigkeit? Ja, bitte!

Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle – trotz Verbrennungsmotoren. „Unsere Bikes verbrauchen kaum Kraftstoff, wir fahren mit Methanol, einem Alkohol – kein fossiler Brennstoff“, erklärt Schmid. Die Rahmen sind aus Stahl und werden – wenn die Studierenden die FH verlassen – zerlegt. Die Einzelteile wandern ins Regal und werden im nächsten Projekt wiederverwendet. „Wir bauen bewusst robust und reparierbar“, sagt Schmid. „Das ist nachhaltiger als so mancher E-Roller.“

Ein Masterprojekt arbeitet derzeit an einem Prüfstand, um die Auswirkungen von Motoränderungen wissenschaftlich messbar zu machen. Parallel läuft eine Bachelorarbeit zum Vergleich Verbrenner vs. Elektro. „Wir sind kein romantischer Oldtimer-Club – aber auch kein technikgläubiger Innovationszirkus. Wir denken ganzheitlich“, sagt Schmid.

Technik lernen, Teamgeist leben

Für viele ist es der Teamgedanke, der das Projekt besonders macht. Bernhard Mandl, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich ERP-Systeme & Geschäftsprozessmanagement an der FH Kufstein Tirol und Kassier des Vereins, bringt es auf den Punkt: „Wir sind kein Verein, der nur aufs Tempo schaut. Uns geht’s ums Bauen, ums gemeinsame Tüfteln – und um das Miteinander.“

Christian Schmid mit Bernhard Mandl neben dem Motorrad | © Alexander Wohlfart
© Alexander Wohlfart

Tiny-Torquer-Obmann Prof. (FH) Dr. Christian Schmid und Vereinskassier Bernhard Mandl, MSc, mit einem der selbstgebauten Bikes. 

Und das funktioniert: Studierende und Lehrende, Bachelor- und Masterstudierende, Anfänger:innen und Motorsport-Enthusiasten arbeiten hier Seite an Seite. Neue Mitglieder, auch ohne FH-Hintergrund, sind willkommen – egal ob mit technischem Background oder einfach nur Neugier. „Wir haben sogar Leute, die nur schweißen lernen wollen“, lacht Schmid. „Und die sind genauso wichtig.“

Eine Bewegung im Entstehen

Der Verein Tiny Torquer, in Ebbs gegründet und inzwischen auf über 20 Mitglieder angewachsen, plant bereits die nächsten Schritte. Die ersten Rennen in Deutschland sind organisiert, Gespräche mit Veranstaltern laufen. Ziel ist es, eine eigene Klasse zu etablieren – mit einheitlichen Regeln, aber viel Raum für Individualität. Und: mehr Sichtbarkeit. „Wir brauchen Sponsoren und Teststrecken – beides ist nicht leicht zu finden“, sagt Schmid. Doch die Resonanz – auch medial – steigt. Eine eigene Social-Media-Präsenz ist im Aufbau, ein YouTube-Kanal geplant.

Für den Studiengang Wirtschaftsigenieruswesen ist das Projekt ein Glücksfall. Es zeigt, dass Technikstudium nicht nur aus Formeln und Excel-Tabellen besteht. Sondern aus Kreativität, Teamarbeit und echtem, greifbarem Fortschritt.

Wo fahren?

Ein Hindernis bleibt: geeignete Rennstrecken. In Tirol stoßen Schmid und sein Team auf Widerstand – vor allem aus Umweltgründen. Dabei, so Schmid, sei der Verbrauch minimal: „Wir reden hier von 0,1 Liter Methanol auf 200 Meter.“ Alternative Orte wie Bayern oder Vorarlberg stehen im Raum, langfristig will man eigene Events aufziehen – etwa am Flugplatz St. Johann oder bei Glemseck 101, einem der größten Custombike-Treffen Europas.

Learning by Doing

Was das Projekt besonders macht: Es zieht Kreise. Nicht nur Studierende der FH, auch Unternehmen aus der Region zeigen Interesse – etwa für die Ausbildung ihrer Lehrlinge. 

Und so basteln, schweißen und fahren sie weiter – nicht, weil es Teil eines Curriculums ist, sondern weil sie es wollen. Die Mini-Bikes rollen. Und vielleicht bald auch auf einer offiziellen Rennstrecke. Dann nicht nur als cooles Projekt, sondern als Bewegung mit Zukunft.

 

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